Was man über den digitalen Produktpass der Europäischen Kommission wissen sollte
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Für viele Regionen ist es heute ein Wettlauf mit der Zeit, um die von verschiedenen Industrien verursachten Umweltschäden zu beseitigen. Solche Bemühungen werden in der Europäischen Union (EU) immer deutlicher, die im vergangenen Jahr eine Reihe von Rechtsvorschriften zur Lösung von Umweltproblemen zusammengetragen hat, um die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren.
Eine Branche, die im Mittelpunkt dieser aktuellen und künftigen Vorschriften steht, ist die Modebranche, die für ihre umweltverschmutzenden Praktiken, ethischen Dilemmas und mangelnde Verantwortlichkeit bekannt ist. Neben Gesetzen und Vorschriften zur Verringerung der Auswirkungen von Mikroplastik und der Abholzung von Wäldern hat die Europäische Kommission auch einen Vorschlag im Rahmen der neuen Verordnung über die umweltgerechte Gestaltung nachhaltiger Produkte (Ecodesign for Sustainable Products Regulation - ESPR) vorgelegt, die von der Kommission als Eckpfeiler ihres Konzepts für umweltgerechtere und kreislauffähige Produkte bezeichnet wird. Die Vorschriften des Entwurfs werden für alle in der EU in Verkehr gebrachten Produkte gelten, unabhängig davon, ob sie innerhalb oder außerhalb der EU hergestellt wurden. Neben einem Rahmen zur Stärkung der Einhaltung der Ökodesign-Anforderungen sieht der Gesetzentwurf auch die Einführung eines digitalen Passes für eine Reihe von Produkten, einschließlich Textilien, vor.
Was ist ein digitaler Produktpass?
Das offiziell als digitaler Produktpass (DPP) bezeichnete Hilfsmittel wird Marken dazu verpflichten, Daten über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts zu sammeln und weiterzugeben, die in Form eines „digitalen Zwillings“ zugänglich sind. Während das Konzept und die operativen Aspekte des DPP noch weiterentwickelt werden, wird er in seinem ersten Format die Nachhaltigkeits-, Umwelt- und Recyclingeigenschaften eines Produkts sowie dessen Herstellungsprozess und Beschaffung hervorheben. Seine Grundlage ist die Blockchain, eine dezentrale Technologie, die gewährleisten soll, dass diese Daten sicher und für Endnutzer:innen leicht zugänglich sind. Die Daten können dann über ein Pflegeetikett - QR-Code oder Barcode - abgerufen werden, das Kund:innen scannen können, um die bereitgestellten Informationen anzuzeigen.
Zu den Kategorien, die im DPP enthalten sein werden, gehören allgemeine Produktinformationen, die Elemente wie ID, Gewicht, Produktionsstätte und Referenznummern umfassen, sowie die Quelle, die sich auf die Art der für die Herstellung des Produkts verwendeten Rohstoffe und deren Herkunft bezieht. Darüber hinaus wird auch der Fußabdruck hervorgehoben, der Daten zum CO2-Fußabdruckprofil des Produkts liefert, sowie die Eigentumsverhältnisse, die Details zu den früheren und aktuellen Besitzer:innen des Produkts enthalten. Informationen zu Reparaturen, Garantien und Anleitungen - in Bezug auf Demontage, Recycling und andere Prozesse - sollen ebenfalls enthalten sein.
„Durch die Schaffung dieses leicht zugänglichen und überprüfbaren digitalen Datensatzes zielt der DPP darauf ab, die Transparenz, die Rückverfolgbarkeit und das Vertrauen in der gesamten Lieferkette zu verbessern, von Hersteller:innen bis hin zu Verbraucher:innen und Recycler:innen, um nachhaltigere und informierte Entscheidungen von Verbraucher:innen zu ermöglichen“, sagt Jake Hanover, Direktor für digitale Produkte und Bekleidungslösungen bei Avery Dennison, zur Einführung des DPP im Gespräch mit FashionUnited.
Warum wird der DPP eingeführt und welche Vorteile hat er?
Die für den DPP gesammelten Daten kommen Marken, Interessenvertreter:innen und Verbraucher:innen gleichermaßen zugute, wobei alle von den verschiedenen Aspekten der Funktion des Tools profitieren sollen. „Verbraucher:innen wird er dabei helfen, fundiertere Kaufentscheidungen zu treffen, und sie dabei unterstützen, nachhaltige Entscheidungen zu treffen“, erklärt Jorge Delgado, Senior Sustainability Manager beim Materialinnovationsunternehmen Recover.
„Mit dem DPP ist es weniger wahrscheinlich, dass Verbraucher:innen in die Irre geführt werden, und es wird für Marken viel schwieriger sein, Greenwashing zu betreiben und unbegründete Nachhaltigkeitsaussagen zu machen“, fügt Delgado hinzu.
„DPP könnten Prüfdaten speichern, die Verbraucher:innen die Gewissheit geben, dass sie ein langlebiges Produkt kaufen. Ein DPP bietet mehr Transparenz über die Produkte, die sie kaufen, und gibt ihnen die Möglichkeit, fundiertere Kaufentscheidungen zu treffen, die mit ihren Werten übereinstimmen. DPP speichern auch eine Fülle von ‘How to’-Inhalten und helfen dabei, eine lange Liste von Fertigkeiten zu vermitteln, wie zum Beispiel Stopf- und Nähtipps oder Tipps zum Umstylen. Verbraucher:innen können die Echtheit von Produkten überprüfen, Informationen über Nachhaltigkeitsbemühungen abrufen und Einblicke in den Lebenszyklus eines Produkts vom Garn bis zum Ladengeschäft gewinnen“, betont Hanover.
Was Unternehmen betrifft, so unterscheiden sich die Möglichkeiten nur geringfügig, aber es geht immer noch darum, das Vertrauen der Verbraucher:innen durch verlässliche Fakten und Zahlen zu stärken und sie zusätzlich vor Materialien und Prozessen zu schützen, die veralteten Standards entsprechen. Unternehmen werden auch von neuen Einnahmequellen profitieren, die mit dem DPP verbunden sind, sowie von der Möglichkeit, ihre eigenen umweltfreundlichen Behauptungen zu validieren, um den Vorwurf des Greenwashings zu vermeiden.
„Der DPP wird Informationen für die Akteur:innen entlang der Wertschöpfungskette bereitstellen: Verbraucher:innen, Wirtschaftsbeteiligte und nationale Behörden, was die Rückverfolgbarkeit erheblich verbessern und die Überprüfung der Konformität von Produkten durch nationale Behörden erleichtern wird“, fügt Delgado hinzu.
Welche Herausforderungen birgt die Umsetzung des digitalen Produktpasses?
Neue Technologien bringen jedoch auch neue Herausforderungen mit sich. Vor allem, wenn sie in einem so großen Umfang integriert werden sollen. „Der DPP muss über einen Datenträger mit einem eindeutigen Identifikator verbunden werden, der physisch auf dem Produkt vorhanden, online zugänglich und vollständig interoperabel sein muss. Akteur:innen, die das Produkt auf dem EU-Markt in Verkehr bringen, sind auch rechtlich dafür verantwortlich, die erforderlichen Informationen zu sammeln, bereitzustellen und zu aktualisieren. Aus all diesen Gründen müssen Marken darauf vorbereitet sein, alle erforderlichen DPP-Informationen zu erfassen, bereitzustellen und zu aktualisieren“, rät Delgado.
Auch bei der Umstellung bestehender Prozesse und Systeme der Lieferketten kann es zu Herausforderungen kommen: „Die nahtlose Integration des DPP in bestehende Arbeitsabläufe kann erhebliche Anpassungen und Investitionen in die technologische Infrastruktur erfordern. Die breite Einführung in der Branche ist ein schrittweiser Prozess. Er erfordert gemeinschaftliche Initiativen innerhalb des Sektors und die Einführung gemeinsamer Praktiken unter den Beteiligten. Es ist wichtig zu erkennen, dass in bestimmten Segmenten der Lieferkette die Infrastruktur eingeschränkt sein kann, was die Notwendigkeit einer grundlegenden Vorarbeit unterstreicht, bevor die Technologie vollständig genutzt und integriert werden kann“, betont Hanover.
Er merkt jedoch auch an, dass eine solche Umstellung unter anderem einen „rationalisierten Ansatz“ zur Überwachung und Verringerung der Kohlenstoffemissionen in der gesamten Wertschöpfungskette bedeuten kann. „Die Annahme dieser Initiative geht über die bloße Einhaltung von Vorschriften hinaus; sie ist der Grundstein für die Optimierung der Produktionseffizienz und die Stärkung des Lieferkettenmanagements und fügt sich nahtlos in umsichtige Geschäftsstrategien ein“, so Hanover.
Diese Technologie hat auch dazu geführt, dass sich die Einführung des DPP erheblich verzögert hat. Ursprünglich sollten die Spezifikationen der Verordnungen im Jahr 2024 veröffentlicht werden, aber es gibt immer noch Prozesse und unklare Elemente, die für diejenigen, die das Instrument letztendlich umsetzen müssen, Unsicherheiten darstellen. Diese Verzögerungen hängen damit zusammen, dass mehr Klarheit über das Thema der sozialen Auswirkungen geschaffen werden muss und dass es wichtig ist, ein einheitliches System zu schaffen. Dies hat letztlich dazu geführt, dass noch kein Datum für die Einführung des DPP festgelegt wurde. Derzeit wird davon ausgegangen, dass die Regulierung bis 2026/27 in Kraft treten wird, während die meisten Produkte voraussichtlich bis 2030 abgedeckt sein werden.
Was können Marken und Einzelhändler:innen von der Einführung des digitalen Produktpasses erwarten?
Auch wenn es noch ein weiter Weg ist, bis Unternehmen tatsächlich regulierte Änderungen vornehmen müssen, lohnt es sich bereits jetzt, sich vorzubereiten. Hanover betonte, dass Einzelhändler:innen und Marken sich umfassend mit dem DPP und seinen Vorteilen vertraut machen müssen, indem sie Zeit in die Aufklärung über die Technologie und ihre Auswirkungen investieren. Dies gilt auch für die Kund:innenkommunikation, für die laut Hanover eine klare, authentische und transparente Kommunikation erforderlich ist. Er geht auch auf die Bedeutung der Zusammenarbeit ein, die er als „Schlüssel zur erfolgreichen Integration“ bezeichnet. „Pflegen Sie Beziehungen zu allen Beteiligten in der Lieferkette, um einen einheitlichen Ansatz für die DPP-Integration zu schaffen. Legen Sie außerdem klare Protokolle für den Datenaustausch zwischen den Partner:innen fest, um die Genauigkeit und Konsistenz der Informationen über den gesamten Lebenszyklus des Produkts sicherzustellen“, rät er.
Akteur:innen der Lieferkette wie Recover gehören zu den Unternehmen, mit denen Marken unbedingt Beziehungen aufbauen müssen, und haben selbst bereits im Blick, wie sie bei solchen Übergängen helfen können. „Da wir mit verschiedenen Marken zusammenarbeiten, sind wir in der Lage, die für das DPP erforderlichen standardisierten Informationen bereitzustellen, ebenso wie Informationen über spezifische freiwillige Labels, die auf das Produkt anwendbar sind (Global Recycled Standard, Higg-Tools usw.), sowie die Werte der Umweltauswirkungen des Produkts, die wir im Rahmen unserer von Dritten geprüften Lebenszyklusanalyse (LCA) erhalten haben“, erklärt Delgado.
Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass trotz der Verzögerung der ESPR, die Verordnungen immer noch recht schnell geändert werden können, da die Kommission regelmäßig Aktualisierungen und Anpassungen veröffentlicht, um das Endprodukt weiter zu verbessern und darauf aufzubauen. Auf die Frage, wie sich Marken und Einzelhändler vorbereiten sollten, schließt Delgado: „Marken und Einzelhändler:innen müssen sicherstellen, dass sie in Bezug auf diese neuen Verordnungen auf dem Laufenden bleiben, und sie müssen auch Beziehungen zwischen Gleichrangigen und anderen Akteur:innen in der Lieferkette aufbauen, um den Fluss der erforderlichen Informationen zu gewährleisten. Sie sollten dies nicht als Hindernis, sondern als potenziellen Vorteil für die Verbesserung der Textil- und Modebranche und als Chance für Marken sehen, Verbraucher:innen über die Auswirkungen ihrer Produkte aufzuklären.“
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf FashionUnited.uk. Übersetzt und bearbeitet von Simone Preuss.